Liebe Leserin, lieber Leser,
genießen Sie den Sommer! Auch wenn ein unbeschwerter Sommer anders aussieht – der kommende Winter wird vermutlich nicht besser werden. Der Gesetzgeber veranlasst uns aktuell etwas häufiger zu einem Update – statt Sommerpause zuletzt die Sonderausgabe zum Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP). Das ecotec-Team freut sich, wenn das in Ihrem Sinn ist.
Wir freuen uns nicht über die Energiepreisentwicklungen und die Hau-Ruck-Eingriffe in den Markt. Denn - schwupps – hat das BMWK wieder in den Markt eingegriffen. Nach drastischer Reduzierung der E-Autoförderung hat es ohne Konsultation eine Reform der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) beschlossen und das Ende der Förderung von Gasheizungen (z. B. in Kombination mit einer Wärmepumpe oder „renewable ready“) sowie die deutliche Absenkung der Fördersätze allgemein besiegelt.
Das alles aber sind „Peanuts“ gegenüber dem Eingriff, mit welchem das BMWK jetzt auf die Gasverbrauchenden zukommt: die § 26 EnSiG-Umlage, von den Medien bereits als „Putin-Umlage“ tituliert. Mit dem Auftakt von 24,19 €/MWh ist sie zwar geringer als von den meisten Marktteilnehmern prognostiziert, wird aber trotzdem ein Mühlstein, der den Gasverbrauchern um den Hals gehängt wird. Die Umlage greift zum 1. Oktober 2022 und soll am 1. April 2024 enden. Sie soll zwischen 15 und 50 €/MWh betragen und kann alle drei Monate von Trading Hub Europe (THE) angepasst werden; die Höhe wird jeweils spätestens am 15. des vorletzten Monats vor Wirksamkeit auf der Internetseite von THE veröffentlicht. Ebenso müssen von THE die wesentlichen Daten des Umlagekontos dort veröffentlicht werden. Das einzig Positive an der Umlage ist, dass es mit § 24 EnSiG hätte schlechter kommen können. Unsere Vorschläge für eine verträglichere Ausgestaltung des auf Basis von § 26 EnSiG veröffentlichten Entwurfs der Gaspreisanpassungsverordnung vom 4. August 2022 (GasPrAnpV) – deutlichere zeitliche Streckung für eine niedrigere Höhe des spezifischen Umlagebetrages und zusätzlich die Begrenzung des Gesamtgaspreises sowie teilweise Gegenfinanzierung durch die Krisenprofiteure, z. B. aus den Zufallsgewinnen der jahrelang intensiv geförderten EEG-Anlagenbetreiber - sind leider nicht aufgenommen worden.
Die Umlage verteilt die Kosten der Ersatzbeschaffung für die fehlenden russischen Mengen auf alle Letztverbraucher und wird zunächst vom Marktgebietsverantwortlichen, sprich THE, den Bilanzkreisverantwortlichen (BKV) in Rechnung gestellt. THE regelt dann mit den Einnahmen den Ausgleich der Mehrkosten der Ersatzbeschaffung bei den Importeuren ab dem 1. Oktober abzüglich eines Eigenanteils der Importeure von 10 %, während die BKV wiederum ihren Kunden, also im Wesentlichen den Lieferanten, die Umlage weiterberechnen und bis diese dann schlussendlich - ähnlich wie bei der EEG-Umlage - bei den Endverbrauchern in Deutschland ankommt. Die Importeure sind zudem verpflichtet, Ersatzansprüche an ihre Lieferanten (im Wesentlichen Gazprom) durchzusetzen und bei Erfolg die erstrittenen Beträge auf das Umlagekonto abzuführen. Liest man sich die Begründung der Verordnung auf Seite 17 durch, fragt man sich, ob die Gaskunden in Deutschland nicht selbst schuld an der Umlage sind: „Die mit der Belastung […] verbundenen Eingriffe […] sind gerechtfertigt. Auch die Belastung von Gasverbrauchern im Unterschied zu Privatpersonen und Unternehmen, die sich nicht an der Umlage beteiligen, weil sie zum Beispiel andere Brennstoffe als Erdgas einsetzen, ist sachgerecht. Die privaten und gewerblichen Gasverbraucher sind von den zu erwartenden massiven Verwerfungen des Gasmarktes besonders betroffen und weisen damit eine besondere Nähe zur Problematik der Kürzung von Importmengen auf. Dies rechtfertigt es, die Kosten von Ersatzbeschaffungen auf sie umzulegen.“ Juristen sehen die Möglichkeit der Weitergabe abhängig von der vertraglichen Ausgestaltung und prognostizieren, dass die Umlage vor Gericht landet.
Das BMWK erwartet allein für die Zwischenfinanzierung – dem Zeitraum, bis die Einnahmen aus der Umlage bei allen Endverbrauchern (bei Tarifkunden vermutlich erst Ende des Jahres) und die Auszahlungen an die Importeure sich die Waage halten - einen Liquiditätsbedarf von ca. 18 Mrd. €. Man darf gespannt sein, welcher Betrag am Ende auf die Verbraucher zukommt. Geht man von einem mittleren Umlagebetrag von 25 €/MWh für die nächsten 18 Monate aus und rechnet mit einer Einsparung von 20 % auf den bundesdeutschen Erdgasverbrauch - was bei den kommenden Preisen nicht unwahrscheinlich ist - lautet die Rechnung: 800 TWh x 1,5 Jahre = 1.200 TWh = 1.200.000 GWh = 1.200.000.000 MWh * 25 €/MWh = 30 Mrd. €. Wenn die Lieferung über Nord Stream 1 ganz zum Erliegen kommen sollte, kann es aber auch deutlich teurer werden.
Was bedeutet die Umlage also konkret? Für Kunden, die ihre Beschaffung bei günstigen Erdgasreisen zu ca. 16 €/MWh bis 2024 abgesichert haben, bedeutet sie zum Start eine 2,5-fachung des Preises oder anders ausgedrückt: Für Firma Muster mit 100 GWh/a Verbrauch entstehen Mehrkosten von ca. 2,4 Mio. €/a, solange die Umlage auf dem aktuellen Niveau bleibt. Damit die Umlage deutlich sinkt, müsste auch der Börsenpreis deutlich sinken. Ist sie zudem „short“, hat also keine Preisfixierung bzw. längerfristige Absicherung am Terminmarkt durchgeführt oder im schlechtesten Fall noch gar keinen Liefervertrag für 2023, wird es bitter. Sie beschafft aktuell oder für 2023 zu Höchstpreisen von ca. 185 €/MWh und bekommt zusätzlich die Umlage nach § 26 EnSiG aufgebrummt. Konnte sie die Kosten bislang noch leidlich durch Weitergabe der höheren Preise und Margenverlust auffangen, wird es jetzt eng. Die Gasrechnung aus 2020 von ca. 130.000 €/Monat bei 16 €/MWh liegt jetzt bei ca. 1,54 Mio. €/Monat + Umlagekosten (ca. 200.000 €/Monat). Im schlimmsten Fall trifft sie die gleiche Situation beim Strom. Typischerweise haben viele große Industriebetriebe etwa ein Drittel ihres Gasverbrauchs als Stromverbrauch, in unserem Beispiel also 30 GWh/a. Durch den Wegfall der EEG-Umlage entstand Firma Muster kein spürbarer Vorteil, weil sie von der Besonderen Ausgleichsregelung profitiert hat. Sie zahlt statt 35 €/MWh im Jahr 2020 jetzt ca. 450 €/MWh, also 1,125 Mio. € statt 87.500 €/Monat. In Summe für Strom und Erdgas also knapp 2,5 Mio. € mehr pro Monat! Da kann man nur hoffen, dass die 5 Mrd. € im EKDP reichen, um sie vor der Insolvenz zu bewahren. Wir melden bereits jetzt Zweifel an und fordern die Politik zu massiver Unterstützung der deutschen Letztverbraucher auf. Auch wenn es sich hier um ein Extrembeispiel handelt, kommen viele Unternehmen (und Privatleute) auch nicht ansatzweise mit den zu erwartenden Kostensteigerungen klar und je länger die Preise auf diesem Extremniveau bleiben, desto mehr Energieverbraucher, besonders Erdgaskunden, geraten in Schwierigkeiten.
Fazit: Durch die neue Umlage in Kombination mit der Energiepreisentwicklung und den möglichen Abschaltungen bis hin zu Stromengpässen wird die Lage für alle Beteiligten immer unübersichtlicher. Viele Unternehmen haben sich
bereits nach Alternativen zum Erdgas umgesehen, um eine drohende Abschaltung überbrücken zu können. Dazu müssen oft erst die technischen und genehmigungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, was Zeit in Anspruch nimmt. Andere Kunden haben keine Möglichkeit in absehbarer Zeit auf Erdgas zu verzichten (z. B. Glasherstellung). Zudem steigen durch die höhere Nachfrage nach anderen Brennstoffen deren Preise ebenfalls in neue Sphären. Absehbar ist jedenfalls, dass weitere deutliche Preissteigerungen bei den Produktionskosten zu erwarten sind und einige Märkte ausgetrocknet werden. Ob die Mehrkosten im Produktpreis bis zum Konsumenten weitergegeben werden können, ist fraglich. Dass sich die Energiepreise dann wieder in die andere Richtung bewegen, ist nicht ausgeschlossen - besonders wenn volle Gasspeicher auf einen milden Winter sowie Rezession treffen sollten und die Lieferung über Nord Stream 1 wieder hochgefahren würde. Auch die geplante Auktion für Industriegasmengen, über die wir Sie zeitnah nach Bekanntgabe der Details informieren werden, kann dazu beitragen. Viele Unternehmen produzieren derzeit mit „Vollgas“, um mit aktuell noch günstigen Preisen die Läger zu füllen und planen, ihre Produktion mit Beginn der Umlage zu reduzieren und an der Auktion teilzunehmen.
Die spannende Frage, ob diese möglichen Effekte früh genug dazu führen, eine Entlastung bei der Energiebeschaffung für 2023 zu erzielen, kann heute niemand absehen. Es gibt noch viele Erdgasverträge, bei denen spätestens Mitte Dezember automatisch die Eindeckung für 2023 erfolgt, egal zu welchem Preis. Im ungünstigsten Fall sitzt das Unternehmen dann auf Extrempreisen und der Markt bewegt sich erst danach deutlich nach unten – nicht auf die Niveaus der Vorjahre, aber selbst nach einer Halbierung wären die Preise im Vergleich dazu immer noch weit weg von einem akzeptablen Niveau. Den Verbrauchern bleibt daher neben der Schaffung von Brennstoffflexibilität nur, alle Einsparpotentiale schnellstmöglich umzusetzen und den Unternehmen zusätzlich, ganze Produktionsprozesse neu zu denken. Auch wenn es nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann, es ist als zukünftige Vorsorge vor Energieengpässen und für den Klimaschutz „alternativlos“. Der Bundesregierung und den zuständigen Ministerien empfehlen wir, ihre Strategie zu überdenken, um irreparable Schäden zu vermeiden. Ein Erreichen der Klimaziele durch Deindustrialisierung als Erfolg verkaufen zu wollen, wird beim Wähler vermutlich nicht honoriert. Ich wünsche Ihnen alles Gute, besonders starke Nerven und trotz allem auch Gelassenheit in den kommenden Monaten. Verlieren wir nicht die Zuversicht!